Die Turteltaube ist Vogel des Jahres 2020

Der NABU hat die Turteltaube zum „Vogel des Jahres 2020“ gewählt. Am meisten fällt der Jahresvogel 2020 durch sein unverwechselbares farbenfrohes Gefieder auf, das nahezu exotisch anmutet. Vogelfreunde erkennen die Turteltaube gut an ihrem deutlich gestuften, dunklen Schwanz mit weißem Ende. Oberkopf und die äußeren Oberflügeldecken sind blaugrau, ihr Rücken und die inneren Oberflügeldecken hingegen rostbraun mit schwarzen Federmitten gefärbt. Die Halsseiten der Turteltaube ziert jeweils ein schwarz-weiß gestreifter Fleck. Kehle und Brust sind zart rötlich gefärbt. Ein deutlich rötlicher Lidring umrandet das Auge, welches orange bis rot leuchtet. Während Männchen und Weibchen optisch kaum zu unterscheiden sind, wirken Jungtiere mit ihrem einfarbig graufarbenen Gewand noch wenig attraktiv. Ihnen fehlen außerdem die charakteristischen Halsflecke sowie der rötliche Hauch auf dem Brustgefieder.

Zwischen Ende April und Mitte Mai kommen die Turteltauben in ihre Brutgebiete zurück und beginnen mit der Balz. Männchen und Weibchen versuchen beide, sich ins rechte Licht beim möglichen Partner zu rücken. Von einem erhöhten Punkt aus fliegt die Taube steil auf, gleitet dann in einem Bogen zur Sitzwarte und imponiert dabei mit ihrem abwechslungsreichen Gefieder. Gefällt der Partnerin oder dem Partner diese „Flugschau“, baut das frischgebackene Pärchen ein flaches Nest aus Zweigen ins Gebüsch. Die beiden Turteltauben bleiben sich über die gesamte Brutsaison treu, welche in Deutschland bis Ende August dauert.

Der Gesang der Turteltaube wirkt zarter, aber eintöniger als bei anderen Tauben und lässt sich gut von anderen Vogelstimmen unterscheiden. Ihr namensgebendes, fast schnurrendes, tiefes „turrr-turrr-turrr“-Gurren trägt sie ausdauernd und manchmal tonal wechselnd vor. Wie ihre Verwandten hat auch die Turteltaube eine rundliche Gestalt mit kleinem Kopf. Mit einer Körperlänge von 25 bis 28 Zentimetern und einer Flügelspannweite von 45 bis 50 Zentimetern ist sie jedoch kleiner und viel graziler. Auch ihre Flügel unterscheiden sich deutlich: Schlank und spitz zulaufend ermöglichen sie einen schnellen Flug für den weiten Zugweg.

 

Bis in den Juli hinein legt das Weibchen zwei Mal je zwei Eier, nur selten brüten die Tauben auch ein drittes Mal. Die Brutzeit dauert 13 bis 16 Tage. Nach dem Schlüpfen werden die jungen Küken 18 bis 23 Tage lang liebevoll von beiden Eltern umsorgt. Turteltauben verteidigen kein eigenes Revier, sondern nur den unmittelbaren Neststandort. Die Jungen werden zum Ende ihres ersten Lebensjahres geschlechtsreif.

 

Turteltauben sind die einzigen Langstreckenzieher unter den Taubenarten Mitteleuropas. Sie verlassen zwischen Ende Juli und Anfang Oktober Europa, um südlich der Sahara zu überwintern. Wie auch die Langstrecken ziehenden Mauersegler und Neuntöter verbringen sie den überwiegenden Teil des Jahres auf dem Zug und im afrikanischen Überwinterungsgebiet. Beringungsdaten deuten darauf hin, dass es drei Hauptzugrouten für europäische Turteltauben gibt. Mehr als zwei Drittel der in Frankreich, Deutschland und Großbritannien brütenden Vögel folgen der westlichen Zugroute über Gibraltar. Brutvögel aus dem östlichen Mitteleuropa fliegen zentral über Italien und Malta oder nutzen die östliche Zugroute über den Balkan.

 

Auf dem Herbstzug liegen anstrengende Reise-Etappen vor den kleinen Tauben, deshalb legen sie zum Beispiel vor der Querung des Mittelmeers Pausen ein. Auf afrikanischer Seite übernachten sie dann gern in Akazienwäldchen in Wassernähe, bevor sie mit bis zu 60 Kilometern pro Stunde bis zu 700 Kilometer nonstop über Sandwüsten durch die Nacht fliegen. Turteltauben bleiben nicht nur ihrem Brutgebiet treu, sondern kehren anscheinend auch in angestammte Überwinterungsgebiete zurück. Das zeigen in Frankreich besenderte Vögel, die in Gambia wiedergefunden wurden.

 

Im Gegensatz zum nächtlichen Herbstzug fliegen die Tauben im Frühling tagsüber zurück in die Brutgebiete Europas. An wichtigen Rastplätzen wie dem Senegaldelta auf der Westroute versammeln sich mitunter viele Tausend Vögel, um dort Reserven für den kräftezehrenden Heimflug aufzubauen. Schon während der Brutzeit suchen Turteltauben in Grüppchen nach Nahrung – vor allem an Ackerrändern sowie auf Lichtungen mit offenem Boden und manchmal auch zusammen mit anderen Taubenarten. Sie ernähren sich fast ausschließlich vegan und bevorzugen dabei Wildkräuter- und Baumsamen, wie von Kiefern und Ulmen, die sie vom Boden pickt.

 

Unserem Jahresvogel schmecken unter anderem Samen von Klee, Vogelwicke, Erdrauch, Wolfsmilch sowie Leimkraut, die Landwirte nicht auf dem Feld haben wollen. Deshalb hat sich die Nahrungszusammensetzung der Tauben seit den 1960er Jahren verändert. Der Anteil von landwirtschaftlichen Sämereien macht nun in weiten Teilen ihres Verbreitungsgebiets mehr als die Hälfte der Nahrung aus statt 20 Prozent wie früher. Vor allem nach der Brutzeit fressen sie vermehrt Sonnenblumenkerne, Raps- und Weizensamen.

 

Eine Gefährdungsursache für den Bestand der Turteltauben ist die Wilderei. Obwohl der Umfang des gesamten Zugvogelmords inzwischen langsam zurückgeht, werden viele Vögel noch immer zum Vergnügen geschossen oder auf Märkten zum Verzehr verkauft. BirdLife International geht davon aus, dass pro Jahr allein mehr als 600.000 Turteltauben im gesamten Mittelmeerraum der illegalen Tötung zum Opfer fallen – entweder in Ländern ohne Jagderlaubnis, außerhalb der erlaubten Jagdzeiten oder mit illegalen Methoden. Diese Zahl birgt jedoch große Unsicherheiten, da aus vielen Staaten keine oder nur schwer belastbare Daten vorliegen. Die Schwerpunkte liegen in Nahost, Ägypten und, vorwiegend im Frühjahr, auf den Ionischen Inseln in Griechenland.

 

Die Intensivierung der Landwirtschaft verschlechtert die Lebensbedingungen der Turteltaube enorm – ein Schicksal, das sie mit vielen anderen Jahresvögeln bisher teilt. Die Ausweitung von Anbauflächen geht einher mit dem Verlust von Brachen, Ackersäumen, Feldgehölzen und Kleingewässern. Damit verschwinden Nistplätze sowie entscheidende Nahrungs- und Trinkstellen. Viele Äcker werden dazu verstärkt mit Herbiziden von den verbleibenden „Unkräutern“ befreit. Doch von den Samen genau dieser Ackerwildkräuter ernährt sich unser Jahresvogel.